Agieren in Machtumgebungen
Für Führungskräfte, laterale Führungsrollen und Experten ist es unverzichtbar, sich mit Machtumgebungen, Machtmanövern und Machtstrategien wertfrei auseinanderzusetzen.
Macht ist nicht per se negativ, und ebenso wenig die Ausübung von Macht. Klar definierte Hierarchieebenen haben einerseits definierte Machtstrukturen, doch andererseits spielt auch die informelle Macht (Netzwerke, Zugehörigkeit, Expertenwissen usw.) eine Rolle. In flachen Hierarchien gibt es eher mehr und schwer zu durchschauende Machtspiele, weil vieles ungeregelt ist, und ein Vakuum entsteht, das durch Machtspiele gefüllt wird.
Die Beschäftigung mit den Facetten der Macht sensibilisiert und stärkt Führungskräfte in ihrer Rolle und leistet einen zeitgemäßen Entwicklungsbeitrag auch für Organisationen. Machtumgebungen lassen sich professionell analysieren. Ausgehend von einer fundierten Analyse ist es möglich, wirkungsvolle Strategien zu entwickeln, die die eigenen Ziele sowie die Ziele der Organisation unterstützen, und im Idealfall Gegner zu Verbündeten machen.
Machtmanöver in modernen Organisationsformen
Macht in Organisationen gewinnt in meinen Executive und Management Coachings zunehmend an Bedeutung. Dies hat auch mit den vielfältigen Organisationsformen und Führungsrollen zu tun. Denn während in klar definierten Hierarchien recht vorhersagbar ist, woher „die Macht“ kommt, wird das Thema Macht in flachen Hierarchien, in Matrix- oder Projektorganisationen zunehmend diffuser und schwerer zu durchschauen.
Heute gibt es neben den klassischen disziplinarischen Führungskräften eine ganze Reihe lateraler Führungsrollen, wie z. B. Projektleiter, Scrum Master, Product Owner oder Matrix Manager. Während die Machtmittel des disziplinarischen Vorgesetzten eindeutig definiert sind – sie reichen vom Unterschreiben des Urlaubsscheins über die Zuteilung eines neuen Aufgabengebietes bis zur Entscheidung über eine Beförderung – ist das für einen Projektleiter oder Matrix Manager viel schwerer zu definieren.
Und wo Unklarheit über Machtbefugnisse besteht, nehmen die Machtspiele zu. Denn nicht alles lässt sich über Teamarbeit oder ein kollegiales Miteinander regeln, zu sehr stehen oftmals Interessen gegen Interessen.
Exzellente Teamarbeit auf der Schaubühne, Machtmanöver auf der Hinterbühne
Wenn man Machtspiele erkennen will, muss man genau hinschauen, und sich nicht vom Vordergründigen beeindrucken lassen. Denn nicht erst seit Unternehmen sich nach außen über ein Employer Branding positiv darstellen, erzählen Organisationen beeindruckende Geschichten über sich selbst, so z. B. in Stellenanzeigen oder auf Social Media Plattformen.
Während es also auf der sogenannten Schaubühne1 um exzellente Teamarbeit, um kollegiale Zusammenarbeit usw. geht, wird auf der Hinterbühne2 oft mit harten Bandagen gekämpft – um schneller ans Ziel zu kommen, die Kollegen zur Mitarbeit zu motivieren oder um als Leistungsträger sichtbar zu werden. Nicht immer gelingt das ohne Machtmanöver, also ohne das Nutzen vorhandener Machtquellen.
Macht ist nicht nur negativ
Immer wenn ich mit einem Manager/einer Managerin seine/ihre jeweilige Machtumgebung analysiere, gibt es eine Fülle von Aha-Erlebnissen und Erkenntnissen. Das liegt vor allem daran, dass das vorhandene Wissen über Machtquellen, Machtmanöver und Machtakteure in den Unternehmen sehr gering ist. Denn das Thema Macht ist ein großes Tabu – allenfalls hinter vorgehaltener Hand wird darüber gesprochen. Hinzu kommt, dass mit Machtmanövern zumeist negativ belegte Verhaltensmuster gemeint sind, was jedoch zu kurz greift.
Die Ausübung von Macht kann für die Organisation und die Beteiligten in der Tat sehr negativ sein, sie kann aber auch eine positive Wirkung entfalten, im Sinne des Unternehmens und der meisten Beteiligten. Es gibt also viele Gründe, sich konstruktiv mit dem Thema Macht auseinanderzusetzen.
Eine Strategie entwickeln
Basierend auf verschiedenen Analysemethoden entwickelt die Führungskraft ihre Strategie. Oftmals ist es für sie schon hilfreich, zu erkennen, wo die Unterstützer und wo die Gegenspieler sind. Auch die Pendelkandidaten, die mal hierhin, mal dorthin tendieren, werden identifiziert. Natürlich sind die Schweiger wichtig (oft sind es viele, die eigentlich zustimmen, aber schweigen). Es genügt, wenn einige wenige sich motivieren lassen, die anderen folgen dann häufig.
Dann gilt es natürlich, die individuellen Machtstrategien der Gegenspieler zu analysieren, und eigene Strategien zu entwickeln. Das erfordert eine gründliche und detaillierte Analyse, um wirklich zu verstehen, wie ein Gegenspieler vorgeht. Es müssen die einzelnen Handlungsstrategien und Kommunikationsmuster genau dechiffriert werden, und darauf gilt es, eine Antwort zu finden.
Was aber sind Gegenspieler in einem organisationalen Umfeld? Es sind ganz einfach Menschen, die – bewusst oder unbewusst – andere Ziele verfolgen als man selbst, und versuchen, diese mehr oder weniger vehement durchzusetzen.
Um sich gut gegenüber Gegenspielern in der Organisation zu positionieren, ist es zunächst wichtig, sich seiner Rolle und Aufgabe bewusst zu werden und aus dieser Rolle heraus zu agieren. Diese Rolle wurde einem Manager mit einem bestimmten „Purpose“ gegeben, darauf kann ein Manager / eine Managerin sich immer beziehen: „In meiner Rolle als … bin ich verantwortlich für … und deswegen ist es mir wichtig, dass … „. Dann kann der oder die Gegenspielerin aus ihrer Rolle heraus argumentieren. So entsteht Klarheit, oder es gibt etwas in der Organisation zu entscheiden.
Das ist ein wichtiger Ansatzpunkt beim Agieren in Machtumgebungen. Viele andere Ansätze ergeben sich jeweils aus der individuellen Situation heraus.
Nach rund 20 Jahren Management Coaching Erfahrung habe ich viele Machtkonstellationen analysiert, und für die meisten Situationen zusammen mit den Managern gute Lösungen erarbeitet. Für wenige Situationen gab es keine Lösung, und dann – wenn „change it“ nicht möglich ist – heißt es: „Love ist or leave it!“
Möge die Macht mit dir sein!
Macht hat viele Gesichter, und sie ist keineswegs immer so negativ wie ihr Ruf. Machtmanöver sind legitime Mittel, die Menschen in Organisationen nutzen, um Einfluss zu nehmen. Idealerweise werden sie bewusst einsetzt, zum Wohle der Organisation oder eines Projekts. Sie können in vieler Hinsicht eine positive Wirkung haben, so z. B. wenn eine herausragende Fachkraft ihr Wissen im Sinne des Unternehmens einsetzt und andere beeinflusst, oder wenn ein Projektleiter ein wichtiges Projekt erfolgreich und mit Nachdruck über die Ziellinie bringt.
Werden Sie Machtgestalter
Schon die Beschäftigung mit dem Thema Macht gilt vielen als anrüchig, sie wollen mit Machtmanövern nichts zu tun haben und weisen alle Machtmanöver weit von sich. Diese Macht-Asketen3 leben in der Illusion, dass Macht-freies Handeln möglich ist. Sie suchen immer den kooperativen Weg und die offene Kommunikation, oftmals in endlosen Diskussionen.
Macht-Menschen4 sind diejenigen, die ohne Scheu und selbstbewusst Machtmanöver starten, unter Nutzung aller ihrer Machtquellen.
Macht-Gestalter5 tun genau das – sie gestalten in Machtumgebungen, sie sind Kenner von Machtmanövern und Machtquellen, und es gelingt ihnen, komplexe Machtkonstellationen zu analysieren.
1 Der Organisationssoziologe Stefan Kühl hat den Begriff Schaubühne geprägt
2 Der Organisationssoziologe Stefan Kühl hat den Begriff Hinterbühne geprägt
3 Christine Bauer-Jelinek, Die helle und die dunkle Seite der Macht
4 ebenda
5 ebenda