So hatte Jörgen Rettmer* sich den nächsten Karriereschritt nicht vorgestellt. Sattelfest in seiner Position als Bereichsleiter Produktion wurde er zum Geschäftsführer eines international agierenden Technologieunternehmens berufen – und sah sich in vielen Themenstellungen mit komplett neuen Herausforderungen konfrontiert.
Der Markt zwang dem Unternehmen einen harten Wettbewerb auf, für ihn fremde Fachfragen aus Marketing, Controlling oder Recht forderten umgehend kluge Entscheidungen, und das interne Führungsteam war einen deutlich anderen Führungsstil gewohnt, als er ihn bislang pflegte.
Jede Führungsebene birgt ihre eigenen Herausforderungen
Der Wechsel ins höhere Management stellt andere Herausforderungen dar als eine Beförderung in das mittlere Management. Top-Leadership-Qualitäten müssen ergänzt werden mit umfassendem Management-Know-how sowie der Fähigkeit, auch in solchen Bereichen gute Entscheidungen zu treffen, in denen der neue Executive Manager keine detaillierte Fachkompetenz hat. Veränderungsbedarfe müssen erkannt, adressiert und im Sinne des Gesamtsystems umgesetzt werden. Das Agieren in Machtumgebungen – oft inmitten von Alphatieren – stellt viele neue Herausforderungen an den Top Manager, ebenso wie das Bilden von kooperativen Netzwerken. Top Manager müssen zunächst erkennen, wie wichtig gerade die letztgenannten Kompetenzen für ihren Erfolg sind.
Executive Manager müssen sich in internen und externen Dynamiken bewähren | |
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Märkte, Politik & Disruptive Innovationen: Globalisierung, neue Technologien und Geschäftsmodelle bewirken wie nie zuvor radikale Umbrüche in den Märkten. Selbst über lange Jahre verschonte Hidden Champions werden von Mitbewerbern entdeckt und attackiert, oder sie werden durch neue Geschäftsmodelle obsolet. | Veränderungen im Unternehmen: Digitalisierung und die Einführung agiler Organisationsformen erfordern auch im Top Management eine umfassende Change-Kompetenz. Die Einführung einer Matrixorganisation ist dagegen fast schon ein Klassiker, auch wenn sie nach wie vor anspruchsvoll ist. |
Kenntnisse der relevanten Umwelt sowie proaktives Agieren werden zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren im Top Management. | Die Optimierung des bestehenden Geschäftsmodells sowie dafür erforderliche Change Projekte sind heute eine der Hauptaufgaben im Top Management. |

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Jörgen Rettmer hatte als Leiter Produktion exzellente Ergebnisse erzielt. Ihm war es gelungen, Produktivität und Qualität messbar zu erhöhen. Durch kluge Investitionen in die Produktionsanlagen hatte er zudem die Produktion am Standort ausbauen können: Im internen Wettbewerb hatte er den Zuschlag für neue Produktionslinien bekommen.
Als er jedoch zum Managing Director des Standorts befördert wurde, bekam er den Eindruck, an mehreren Fronten gleichzeitig zu kämpfen. Herausfordernd waren insbesondere die Kollegen, die nicht ihm unterstellt waren, sondern an den CEO des Konzerns berichteten. Zudem führte er jetzt Bereichsleiter, deren Leistung und Beitrag zum Gesamtergebnis er nicht gut genug einschätzen konnte. Natürlich kannte er fast jeden aus der bisherigen Zusammenarbeit, aber er war sich unsicher, wie er den Beitrag von Einkauf, Controlling oder Marketing einschätzen sollte.
Gleichzeitig hatte er ehrgeizige Ziele bekommen – die Kosten sollten reduziert und frei werdende Stellen nicht mehr besetzt werden. Die Digitalisierung sollte in allen Bereichen stärker verankert werden und dabei helfen, Kosten zu sparen. Wie versiert war hierbei der Bereichsleiter IT? Wo gab es ein Best Practice, an dem er sich orientieren konnte?
Nachdem ein Konflikt zwischen den Bereichsleitern aus Einkauf und Controlling eskalierte, und ihm am gleichen Tag sein Vorgesetzter mitteilte, dass er in der letzten Management-Telco nicht sehr souverän gewirkt hätte, war das Maß erst einmal voll. Zwei Stunden später empfahl ihm sein HR Business Partner in einem offenen Gespräch ein Executive Coaching, um eine neutrale und professionelle Unterstützung zu erhalten.
Wie der Übergang ins Top Management gelingt
Um einen Geschäftsbereich oder ein ganzes Unternehmen so zu führen, dass alle Funktionsbereiche wirtschaftlich zusammen arbeiten und nachhaltig erfolgreich sind, braucht es Instrumente, die dem Executive Manager schnell einen Überblick über den gesamten Verantwortungsbereich geben und ihm die relevanten Handlungsfelder aufzeigen.
Insbesondere die Fähigkeit, komplexe Problemstellungen gründlich zu analysieren und konsequent zu lösen, trägt dazu bei, schnell auf der neuen Führungsebene anzukommen und Kontrolle im Sinne von Überblick sowie Handlungsfähigkeit zu erlangen.
Vier Rollen greifen ineinander
1. Management-Kompetenzen ausbauen
Als Intrapreneur oder Unternehmer im Unternehmen sind Executives gefordert, den Verantwortungsbereich strategisch, also mittel- und langfristig, auszurichten, das aktuelle Geschäftsmodell laufend zu optimieren, Innovationen zu fördern, auf Marktveränderungen schnell zu reagieren und operative Entscheidungen zu treffen.
Der Top Manager darf keine bevorzugten oder ungeliebten Themen haben. So muss er, wenn er Elektrotechnik-Ingenieur ist, das Controlling wertschätzen lernen, er muss die Logiken des Verkaufs kennen und das Marketing verstehen. Ebenso wie ein Betriebswirt und vormaliger Sales Profi auf Top Management-Ebene schnell den Beitrag von Forschung & Entwicklung, von Produktion, oder der Exportkontrolle erkennen und nutzen muss.
Dazu gehören ein Businessplan für die lang- und mittelfristige Ausrichtung des Verantwortungsbereichs oder eine Stakeholderanalyse zum Analysieren komplexer Probleme. Ebenso wichtig wird es, rasch Engpässe zu erkennen, die ein schnelles Handeln bzw. Entscheiden erfordern.
2. Leadership-Kompetenzen motiviert und begeistert
In seiner Rolle als Leader von Führungskräften gilt es, schnell ein konstruktiv agierendes Management Team zu entwickeln, das in der Lage ist, kontrovers zu diskutieren sowie gemeinsam notwendige Entscheidungen zu treffen. Individuell ist auf dieser Managementebene die Motivation für Top-Leistungen vorhanden. Es geht darum, eine gemeinsam getragene Motivation zu entwickeln. Schwelende Konflikte sollten behutsam adressiert werden, denn sie wirken sich direkt auf die Qualität der Ergebnisse aus. Die Fähigkeit, aus Direct Reports ein Management Team zu formen , in dem ein für den Arbeitskontext angemessenes gegenseitiges Vertrauen herrscht, gehört zu den herausragendsten Leadership-Qualitäten. Die Zeit der einsamen Helden im Management ist definitiv vorbei. Deshalb brauchen Management Teams mehr denn je die Bereitschaft zur Kooperation und Ausrichtung auf ein gemeinsames Ziel. Doch auch das Analysieren von Machtspielen und ein angemessenes Reagieren auf „kollegiale Winkelzüge“ sind wichtig. Da ein Top Manager selten in konfliktfreie Sphären befördert wird, muss er schnell schwelende Konflikte erkennen, und diese nachhaltig und souverän lösen.
Leadership im Top Management erfordert ebenfalls, eine große Anzahl von Mitarbeitern und Führungskräften zu motivieren und zu begeistern, auch und gerade wenn schwierige Wegstrecken zu bewältigen sind. Das heißt, Orientierung zu geben, immer wieder das Big Picture zu vermitteln, Fragen Einzelner geduldig zu beantworten. Es bedeutet, Meinungen aus dem Unternehmen einzuholen, durch die Werkshalle zu gehen und mit den Mitarbeitern in der Produktion oder dem Key Account Manager zu sprechen. Das schafft Glaubwürdigkeit und Vertrauen.
3. Netzwerke & Machtumgebungen gestalten
Als Repräsentanten und Netzwerker gestalten Top Manager um sich herum ein Netzwerk aus internen und externen Stakeholdern, das es ihnen ermöglicht, sich schnell zu informieren, Einfluss zu nehmen sowie Koalitionen zu bilden – das alles im Sinne der strategischen Ausrichtung des Verantwortungsbereichs.
Dieses Vernetzen mit strategisch bedeutsamen Personen und Interessengruppen, das Agieren auf Augenhöhe innerhalb von Mächtigen sowie die Kooperation mit zentralen Leistungspartnern gilt es permanent neu auszutarieren.
Für den Top Manager gewinnen externe Netzwerke an Bedeutung. So z. B. die Rede bei der Eröffnung einer wichtigen Messe, die Teilnahme an Kongressen und Tagungen der Branche sowie an politischen Netzwerken. Hier geht es darum, sich Sicherheit auf diesem Parkett anzueignen, und gerne mit Menschen in Gesprächen zu sein. Die Marke eines Unternehmens wird auch durch ihre Top Manager repräsentiert. Wer sich mit öffentlichen Auftritten schwer tut, sollte sie schnell lernen, denn die Bedeutung dieser öffentlichen Rolle ist enorm.
Als Change Enabler ermöglicht der Top Manager Innovationen und Veränderung, ohne jedoch die Organisation zu überfordern. Den meisten Unternehmen ist bewusst, dass sie agiler und dynamischer werden müssen. Agile Unternehmen sind aber vor allem „Lernende Unternehmen“, sie werten laufend ihre Erfahrungen aus und verbessern sich permanent. Dazu muss der Top Manger den geeigneten Mindset vorleben und in seinem Verantwortungsbereich erzeugen. Die dafür notwendigen Veränderungen müssen nicht nur initiiert werden, es geht auch darum, sich mit Widerstand konstruktiv auseinanderzusetzen und andere Meinungen zu hören. Der Satz von Ronald Heifetz „Protect the voices form (leaders) below“ ist auch an dieser Stelle hilfreich.
Innovationsfreude entsteht dort, wo die Fehlerkultur auf Versuch und Irrtum sowie auf Fehlertoleranz ausgelegt ist. Das bedeutet eine Veränderung der Unternehmenskultur, und dafür kann ein Top Manager viel tun. Innovationen erfordern aber auch die Kenntnis entsprechender Methoden, wie z. B. Design Thinking. Ein Top Manager, der sich mehr Innovationen in seinem Unternehmen wünscht, fördert die Methodenkompetenz und den entsprechenden Mindset.
Ein unrealistisches Wunschkonzert?
Wer ins Top Management berufen wird, weist umfassende Erfahrungen und Kompetenzen auf. Mit den geeigneten Management-, Analyse- und Reflexionstools kommen Top Manager meist schnell auf der neuen Führungsebene an.
Wenn aber die Gemengelage zu undurchsichtig ist, das Unternehmen vor großen Herausforderungen bzw. Umbrüchen steht und, der Top Manager eine ganze Reihe schwelender Konflikte geerbt hat, kann es Sinn machen, über die Begleitung durch einen erfahrenen Sparringspartner / Executive Coach nachzudenken.
Mit seinem Executive Coach besprach Jörgen Rettmer zunächst alle Facetten der aktuellen Situation. Daraus entstand schon in den ersten zwei Stunden einer Liste mit „heißen Themen“. Sie wurden je nach Brisanz gewichtet. Dies gab Herrn Rettmer ein Stück Sicherheit zurück – getreu dem Motto: Nun weiß ich zumindest, wo meine Fragezeichen sind.
Nach dieser Bestandsaufnahme definierte er zusammen mit seinem Executive Coach Themenfelder und Ziele für das Coaching, ebenso die Erfolgskriterien. Nach und nach wurde diese Liste abgearbeitet. Herr Rettmer definierte Anforderungen an seine Direct Reports, er analysierte den eskalierten Konflikt und entwickelte zusammen mit dem Executive Coach eine Lösung.
Mit einer für ihn neuen Demut musste er jedoch erkennen, dass es auch auf dieser Ebene Rahmenbedingungen gab, die er nicht beeinflussen konnte. Zu unterscheiden, wo Handlungsspielräume bestehen und wo die Dinge unverrückbar sind, ist wichtig, um nicht auszubrennen. Sonst läuft man Gefahr, immer wieder Energie in Unabänderliches zu stecken.
Er verwendete mehr Zeit darauf, sich mit seinen Top-Management-Kollegen zu vernetzen und gezielt Koalitionen zu bilden, die seine Ziele unterstützten. Außerdem arbeitete er an Auftritt und Kommunikationsverhalten gegenüber seinen Peers, aber auch mit Untergebenen und wichtigen Leistungspartnern. Ihm wurde bewusst, wie wichtig Körpersprache und Ausdruck sind, um sich auf dieser Ebene Gehör zu verschaffen.
Es wurde ihm klar, wie sehr es darauf ankommt, dialogorientiert zu kommunizieren sowie Botschaften und Signale aus der Mitarbeiterebene frühzeitig wahrzunehmen. Nach und nach verinnerlichte er den Satz “Protect the voices from (leaders) below“ (ein Satz von Ronald Heifetz) und er erwarb sich in seinem Umfeld noch mehr Respekt und Vertrauen.
* Name geändert
Dieser Artikel ist Teil einer Serie. Lesen Sie hier den zweiten Teil „Acht entscheidende Erfolgsfaktoren im Executive Management“